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13. Tag fahrend, Astorga

Kathedrale von Burgos

Das Essen in Burgos war leider nicht so ausgezeichnet, wie erwartet, doch hat die Begleitung einiges wett gemacht. Ich habe diese Bande schon so sehr in mein Herz geschlossen, der Abend war einfach perfekt. Es ist schon vor dem Essen, dann beim Essen viel Wein geflossen, nachher gab es noch zwei Flaschen zum Abschied in der Herberge… Die Umarmungen und Küsse zum Abschied haben sehr gut getan und haben ihn ein wenig leichter fallen lassen (oder auch nicht), ich wusste schon in diesem Moment, wie sehr ich die Jungs vermissen würde.

Heute morgen bin ich absichtlich lange liegengeblieben, wollte ja nun wirklich als Letzte die Herberge verlassen, da mein Bus erst um 11:30 Uhr fuhr. Also lag ich seit 5 Uhr wach im Bett und habe den Röchel- und Schnarchorchester gelauscht. Die Lieben sind alle noch einmal an mir vorbei geschlichen und haben sich abermals bei mir verabschiedet. Das war so rührend, alle haben an meinem Bett angehalten.

Bin dann wirklich fast als letzte aus der Alberge getappert und habe mich auf zur Busstation gemacht, um mein Ticket zu holen – natürlich in der Hoffnung, dass es doch noch einen Bus früher geben würde. Leider war dem nicht so, sodass ich mit Sack und Pack wieder zurück in die Stadt gelaufen bin, um erst einmal Kaffee zu trinken. Habe dort noch Norman bei seinem gemütlichen Frühstück getroffen, aber auch er hat sich ja bald auf den Weg gemacht. Nach zwei starken Kaffee konnte ich dann auch kein Koffeein aufnehmen, musste aber noch eine halbe Stunde in der Kälte (2 Grad) vor der Kathedrale warten, bevor ich rein konnte, um sie mir noch anzusehen. Eine Stunde lang habe ich gestaunt und geknippst, das ist wirklich ein Prachtbau voll Gold und Kram.

Dann gings aber doch bald zum Bus. An der Station habe ich noch den Hospitalero aus Santo Domingo getroffen, der sich sogar an mich erinnerte. Dazu stießen dann bald noch zwei andere australische Pilger, die sich wunderten, dass Englisch nicht meine Muttersprache ist. Dieser Camino ist so multilingual für mich: mit den Franzosen spreche ich nur Englisch, sie sprechen aber untereinander Französisch und ich verstehe es. Mit den Spaniern unterhalte ich mich mit Händen und Füßen, wenn sie spanisch sprechen, verstehe ich aber vieles. Gestern habe ich mich beim Laufen dabei ertappt, dass ich mit mir selbst gesprochen habe – auf Englisch. Scheinbar ist das aber nicht nur bei mir so – auch Alessio das so erlebt.

Alles eingeladen, letzte Reihe, wie es sich für die coolen Kinder gehört und schon ging die vierstündige Fahrt los. Die Fahrt war sehr traurig, verwirrend und überfordernd. Ich habe meine “Gruppe” vermisst, ich war traurig, dass ich nicht laufen konnte/durfte und war überfordert und verwirrt ob der ungewohnten Geschwindigkeit. 250km in einer Zeit, in der ich selbst 25km unterwegs bin – das ist irgendwie komisch. Zumal ich die ganze Zeit die Pilger auf dem Weg neben der Straße gesehen habe. Taschentücher – ein wahrer Segen heute.

Bin dann in Astorga mit einem mal Umsteigen in Leon (die Stadt konnte und wollte ich mir nicht ansehen, die vielen Menschen und der Lärm in Burgos haben mir schon gereicht) angekommen und habe eine sehr nette Herberge hier gefunden. Es ist eine private, da ich ja weder in die städtische, noch in die kirchliche rein darf, wenn ich die Tagesstrecke nicht zu Fuß zurückgelegt habe.

Auch hier sind auch außerordentlich liebe Menschen, habe schon nette Gespräche geführt. Es ist nicht das selbe, doch werde ich neue Menschen kennenlernen. Der Abschied hat weh getan, doch wohnt zumindest André ja im Nachbarland, sodass man nicht aus den Augen und schon gar nicht aus dem Sinn ist. Die Jungs wollen alle nach dem Papst in Santiago ankommen, d.h. ich werde sie zumindest hier alle nicht mehr sehen. Der Hospitalero an der Busstation hat mir aber ein wenig geholfen, indem er sagte, dass es nur mein Weg werden kann, wenn ich mich nicht zu sehr an bestimmte Menschen während des Weges gewöhne. Man geht nicht aufgeschlossen auf andere Leute zu, da man nur vergleicht und man ist immer angehalten, sich an bekannte Gewohnheiten zu halten. Siehe da: Heute Abend kein Wein (vorhin nur einer nach der Ankunft), sondern ein leckeres, spanisches Heineken (?).

Nun ja, die Jungs schreiben mir schon fleißig SMS, morgen gehts für mich ins Geisterdorf, rund 2 km vor dem Cruz de Ferro, dabei 8 km steil bergauf. Die Wettervorhersage für die kommenden 3 Tage ist für meine Gegend fantastisch, was nur Gutes für meinen Teint bedeutet. Nur meine Oberlippe macht mir Sorgen. Die hab ich mir so arg verbrannt, die heilt gar nicht richtig.

Aber wenn das alles an Schmerzen ist, was ich hier ertragen muss, so trage ich es mit Wonne! Die Kanadierin, mit der ich mich vorhin nett unterhalten habe muss vier Tage pausieren und wird vermutlich gar nicht bis Santiago kommen. Was ich hier schon an Fußwunden gesehen habe – das ist echt nimmer feierlich!

Ihr Lieben, ich denke an euch, wenn auch heute ein bißchen mehr an meine Pilger-Clique. Fühlt euch fest gedrückt von der Frau, die 280km in den Beinen und noch 260km vor sich hat.

Allerliebste Grüße, Küsse und Umarmungen an M, D, O, O und den Brummbären!

André, je t’embrasse et buen camino, mon ami!
Ach ja, L. läuft wohl seit gestern wieder. Just for your information, Robert & co.

4 Kommentare

  1. Ich lese dein Tagebuch mit Staunen und großer Freude und bin tief berührt. Es ist so schön an deinen Erfahrungen/Erlebnissen teilhaben zu dürfen.
    Dass das Busfahren nach so vielen, erfüllenden Tagen zu Fuß, dich verwirrt und traurig gemacht hat, kann ich echt nachvollziehen. Ich glaube, dass das Gehen eher dem Tempo unserer Seele entspricht. Bis die nachkommt nach einer längeren Fahrt mit Bus/Auto dauert es ein Weilchen.
    Wenn du die letzten Tage, durch das Laufen in deinem Tempo, in Einklang mit deiner Seele gekommen bist, dann ist es für mich ganz logisch, dass sie dann etwas traurig ist. Nicht nur traurig, wegen der Menschen, die du vermisst hast. Aber spätestens in der Nacht hat sie dich sicher wieder eingeholt, und so wünsch ich euch beiden einen ineinander-schwingenden Weiterweg.
    Sei behütet – Orakel

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  2. Es ist so schön zu lesen, was Du alles beschreibst und auch was Du so fühlst. Wie das Beispiel Busfahren nach Laufen. Auf vieles wäre ich sicher gar nicht gekommen. Ich hätte jetzt echt gedacht – als fauler Mensch, der ich bin – Du würdest Dich auf etwas bequemeres Reisen freuen. *schäm*

    Viele liebe Grüße,
    Elo

    PS: Mir gefallen die Bilder auch wieder sehr.

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