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Tag 12: Wenn man die richtigen Prioritäten setzt

“Manchmal muss man in den Schuhen eines Freundes laufen, um kleinere Schritte machen zu können.”

Wir haben uns absichtlich keinen Wecker gestellt, wollten ausschlafen und vom üblichen Pilgertrubel aufwachen. Das war dann auch eine Einladung, endlich mal wieder mit Ohropax zu schlafen. Dummerweise stelle ich erst als ich im Bett liege fest, dass die Ohropax im Rucksack sind, ich mich aber auf einem Hochbett befinde, das ich im Dunkeln nicht hinabsteigen möchte. In unserem Raum sind die Hochbetten dreistöckig, allerdings weitaus stabiler und gefühlt auch sicherer als an manch anderem Ort.

Das Frühstück besteht aus tatsächlich mal einem guten Kaffee, Brot mit Marmelade und Keksen und wir werden mit einem wundervollen Sonnenaufgang begrüßt. Das Trio startet, Klarina hat immer noch ihren Fuß mit Tape abgeklebt, wir wir später erfahren, läuft sie zu diesem Zeitpunkt schon mit Schmerzen, sagt uns aber nichts. Wir schlendern durch die ersten Dörfer und erreichen endlich die Steilküste, an der es in den nächsten Kilometern entlang geht. Das obligatorische Selfie unseres Trios und viele weitere Bilder später kommen wir nach einem traumhaften Lauf nur wenige Meter von der Steilküste entfernt am Strand an, der uns nach Santander führt.

Wir treffen auf Irene und Manuel, die sich ein Bad gegönnt haben, Klarina hat sich von ihren Schuhen befreit und teilt Gert und mir auf einmal mit, dass sie befürchtet, nicht weiter als Santander zu kommen, die Blase sei einfach zu schmerzvoll. Der Gedanke, uns zu verlassen hat ihr wohl schon auf den letzten Kilometern Tränchen in die Augen getrieben, ihr Anblick erschrickt uns beide gleichermaßen. Ich bin ziemlich sprachlos ob des Gedankens, sie zurück lassen zu müssen und ich merke direkt, dass es Gert nicht anders geht. Wir beschließen, an der nächsten Bar anzuhalten, uns der Blase zu widmen und dann weiter zu entscheiden. Ich kann und will nicht akzeptieren, dass es jetzt ohne Klarina weiter geht. Diese Dreier-Kombo ist einfach zu perfekt!

Wir erreichen eine Strandbar, suchen uns ein verstecktes Plätzchen. Die Blase wird mit allen Mitteln behandelt und wir hoffen einfach nur, dass doch noch alles gut wird. Gert und ich beschließen, im Zweifel ihren Rucksack abwechselnd vor den Bauch geschnallt zu tragen. Der Gedanke, ohne sie weiter zu gehen ist einfach zu schlimm, sodass wir beide das ohne lange darüber nachzudenken festlegen. Selbstverständlich weigert sie sich. Sie klebt die Blase ab, wir beschließen, die wenigen hundert Meter bis zur Fähre zu gehen und auf der anderen Seite der Bucht in Santander weiter zu entscheiden. Auf die Fähre müssen wir 20 Minuten warten, ich schlage Klarina vor, dass sie meine Crocs anzieht – weniger Druck und mehr Freiraum für den Fuß. Der Größenunterschied ist aber nicht so wirklich optimal, sodass sie Gerts Sandalen ausprobiert. Diese scheinen ganz gut zu sein, wenngleich auch diese nicht die richtige Größe haben.

Die Fähre setzt uns über, wie traben durch die Stadt und Klarina kann erstaunlich gut laufen. Mit Irene und Manuel haben wir verabredet, dass wir am Abend kochen möchten, wir wollen so gerne ein Stück gutes Fleisch essen. Klarina merkt, dass sie die 10km in den Sandalen vermutlich tatsächlich laufen kann und so finden wir zum Glück am Sonntag geöffnete kleine Läden und auch einen Metzger. Ich lade mir Salat auf, das Übrige teilen die beiden auf ihre Rucksäcke auf. Ich merke die geschätzten 3kg direkt, es geht aber irgendwie. Der Weg führt lange durch die Stadt, bald durch Vororte aber immer auf Straßen und auf Asphalt. Die Füße schmerzen und das Extra an Gewicht macht sich bemerkbar, zumal die Einkäufe oben auf liegen und damit nicht optimal gepackt sind. Nachdem wir auf die leicht humpelnde Lisa getroffen sind, die wir gestern in Güemes kennengelernt haben, erreichen wir endlich Bezana – unser Ziel. Die Albergue soll allerdings etwas versteckt sein. Wir sind froh, drei Betten reserviert zu haben, müssen uns daher nicht stressen.

Passend zum aktuellen Gemütszustand verlaufen wir uns auch noch und finden die Herberge nicht. Ich stelle laut fest, dass ich wohl noch 500m schaffen werde und danach einfach umfallen werde. Zum Glück spielt Google Maps mit und wir kommen doch endlich an, treffen in der Albergue auf Eilish aus Irland, Lex aus den Niederlanden und Nancy aus den USA. Die Albergue Nimon in Bezana ist der absolute Hammer, ist sie doch eine umgebaute Wohnung mit einer voll ausgestatteten Küche, 2 Bädern, frischen Handtüchern, einer Terrasse und unfassbar viel Platz. Klarina, Gert und ich finden Platz in einem 4er-Zimmer, die anderen sind entweder zu zweit oder alleine untergekommen. Ein absoluter Traum, und das für 12€!

Nachdem wir alle die Dusche von Innen gesehen haben, zieht es uns zum Ankommensbier.

[Emotions-Exkurs]

Auf dem Rückweg erzählt Klarina Gert und mir, dass es ihr heute mit dem Gedanken uns zu verlassen ganz furchtbar ging und sie so froh ist, dass es die letzten Kilometer bis hierhin funktioniert hat. Wir Drei fühlen uns scheinar so wunderbar wohl miteinander, dass wir einen Beschluss fassen: Bis zum Ende meiner Reise bleiben wir in genau dieser Konstellation, komme was da wolle. Klarina gibt das Tempo und die Entfernungen vor und verspricht uns, ganz und gar ehrlich dabei zu sein. Wenn es nicht mehr geht, geht es eben nicht mehr. Keiner von uns Dreien muss irgendwann irgendwo ankommen, sodass wir im schlimmsten Fall auch nur kurze Lauftage haben werden. Uns ist einfach wichtig, weiter zusammen zu bleiben.

Als diese Entscheidung gefällt ist, könnte ich heulen vor Freude und ich merke, dass es den Beiden nicht viel anders geht. Zu wissen, dass ich noch 5 Tage mit diesen beiden wunderbaren Menschen habe, macht mich wirklich unfassbar glücklich und dankbar. Ich wusste, ich finde schnell nette und tolle Menschen auf dem Camino, bin sehr froh und glücklich, Irene, Niamh und Miriam kennengelernt zu haben und hatte mit den 3en sehr viel Spaß. Sie haben mein Herz berührt und werden mit Sicherheit auch gute Freunde über den Camino hinweg sein. Klarina und Gert aber sind wie ein 6er im Lotto. Absolut! Lauftempo, Humor, Stimmung und der Wechsel aus Schweigekilometern und großartigen Gesprächen ist wunderbar. Mit Klarina war ich sehr schnell auf einer Wellenlänge und Gert passt ganz wunderbar zu uns – ich fühle mich ihm schon nach kurzer Zeit verbunden, er ist ein guter Freund. Ich habe das Gefühl, beide schon seit Jahren zu kennen. Wir helfen und stützen uns gegenseitig und haben eine außerordentlich großartige Zeit zusammen. Ich freue mich jeden Morgen beim Aufwachen, wenn ich die beiden sehe und darauf, den Tag mit ihnen zu durchlaufen.
[/Emotions-Exkurs]

Unser Abendessen ist großartig, es schmeckt erst recht in solch toller Begleitung. Als der Wein sich leert, beschließen Klarina, Gert, Lex und ich noch auf ein Afzakkertje in die Bar zu wechseln und fallen im Anschluss (schlaf-)trunken ins Bett.

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  1. Ich bin überwältigt von Emotionen. Worte wie Solidarität, Unterstützung, Freundschaft, sogar Liebe, können nicht umschreiben, was ich mit Denise und Gert erfahren durfte. Zwei Personen, die ich nur wenige Tage kenne, geben mir buchstäblich ihr letztes Hemd. Tragen mich auf MEINEM Weg. Ich laufe in Gerts Schuhen, gestützt durch Denise’ Stöcke. Sobald ich nicht mehr kann tragen Sie meinen Rucksack und suchen die nächste Herberge. Ich wusste nicht, was ich suchte, bis ich euch fand. Danke (muchos gracias! You see, I’m fluent, for YOU!)

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  2. hallo Denise ! Haben heute die letzten Berichte gelesen und freuen uns mit Dir über die vielen schönen und wertvollen Begebenheiten und Erlebnisse. Diese Dinge des Lebens sind der Stoff, aus dem das Lebensbild geschaffen wird. Ungeplant, doch erhofft, zauberhaft und unschön – alles ein Bestandteil unseres Seins und Tuns. Qualen, Schlamm, Sonnenschein, Natur pur und eine super Combo -perfekt für ein bleibendes Erlebnis. Viele liebe Grüße und eine wunderbare verbleibende Zeit wünscht Dir M+D.

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