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Tag 17: Die Zeit lässt sich nicht anhalten

Es ist schon ein wenig komisch, nicht in einem Schlafsaal aufzuwachen und auch die Nacht ohne melodiöses Schnarchen verbracht zu haben. Als ich mich aber nach dem Erklingen des Baywatch-Weckers umdrehe und in Klarinas schläfriges Gesicht blicke, ist immerhin einer der Fab3 da. Am Abend vorher hat sich Klarina ihre Auszeit genommen, Gert und ich haben bei einem Sundowner an unseren Blogs gearbeitet und einfach die Abendsonne genossen.

Für Interessierte und all jene, die (wenigstens halbwegs) Niederländisch verstehen, schaut doch mal im Blog von Gert vorbei: Wandelblog van Gert

Eigentlich wollte ich mich dann direkt ins Bett verziehen, saß aber noch eine Stunde auf dem Balkon und habe den Geräuschen der anbrechenden Nacht und der wenig befahrenen Landstraße gelauscht.

Erstaunlicherweise befindet sich in unserer Pension eine Bar, die auch ab 6 Uhr geöffnet hat, sodass wir endlich einmal zu einem Koffeinschub vor den ersten Kilometern kommen. Also ziehen wir gestärkt in meinen letzten Lauftag, verdrängen aber offensichtlich diesen Umstand alle so gut wie möglich. Nur kurze Zeit müssen wir an Landstraßen entlang laufen, bald schon schlagen wir den Weg zu einer Alternativroute ein, die wieder einmal nur mein Buch vorschlägt: Direkt an der Steilküste, an Buchten und Stränden entlang, über Wiesen und Felder und fast ausschließlich fernab von Verkehrsstraßen.

Wir haben in den vergangenen Tag so tolle Felsformationen und Küstenabschnitte gesehen, sind aber jedes Mal aufs Neue beeindruckt ob der Kulisse, die dieser wunderbare Weg uns bietet. Saftige Wiesen wechseln sich mit rauen und steil abfallenden Felswänden ab; das Besondere dieses Tages sind die Bufones, an denen wir mehrfach vorbei kommen werden. Das Meer hat sich seinen Weg durch die Steinwände gesucht und hier Höhlen geschaffen, durch die bei stärkerem Seegang das Wasser Geysiren gleich heraussprüht. Leider bleibt uns dieses Schauspiel verwehrt, die Wellen sind nicht hoch genug. Beeindruckend ist es aber trotzdem.

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Auf einem Felsvorsprung machen wir Rast, klettern ein wenig herum und machen endlich das gemeinsame Foto, das ich mir schon seit Tagen wünsche. Ungeschützt vom Wind friert es uns aber schnell und mein schlaues Büchlein kündigt uns bald eine malerische Bucht an, für die wir uns unsere Frühstückspause aufheben. Bis hier sind wir schon knapp 5 km unterwegs. Die malerische Bucht ist gar nicht mal so malerisch, was allerdings auch am Wetter liegen kann. Noch immer ist es bewölkt und gerade warm genug, um im Shirt zu laufen. Den ganzen Tag schon hängt mir das Pilgerlied “Ultreia et Suseia” im Ohr, ich summe es vor mich hin, Gert steigt ein, lässt einen Kanon auf dem iPhone laufen, den er in einer Herberge in Frankreich aufgenommen hat und so laufen wir leise summend weiter.

Gert hat in Belgien einer Verabschiedung für Pilger beigewohnt und lässt auch Enya mit “Pilgrim” laufen, das dort gespielt wurde – Gänsehaut-Alarm.

Klarina lässt sich heute wie schon die vergangenen Tage etwas zurückfallen, sie kann so ihren Gedanken nachhängen und wir haben sie trotzdem im Blick. Gert und ich laufen etwas zügiger, das Lauftempo ist angenehm an einem etwas kühleren Tag und wir halten regelmäßig, um Klarina wieder aufschließen zu lassen. Da der Lauftag heute nicht lang ist und Klarina abermals in ihrem fließenden Spanisch (nicht!) drei Betten für uns reserviert hat, müssen wir uns nicht stressen und können jeden Schritt genießen.

Der siebte Kilometer ist am heutigen Tag ein ganz bedeutsamer: Gert knackt die wahnsinnige Zahl von 2.000 km, die er seit dem 5. April unterwegs ist. Klarina und ich haken ihn unter, sodass wir gemeinsam die letzten Schritte bis zur runden Zahl laufen. Das Sieger-Foto ist Pflicht. Da aber niemand von uns Schampus dabei hat, schlappen wir also weiter über wirklich schöne Wege, die uns für die vielen Asphalt-Kilometer der vergangenen Tage dicke entschädigen. In einem kleinen Dorf entdecken wir schnell ein Coca Cola Zeichen und da die Bar unbegreiflicherweise sogar geöffnet hat, kehren wir für eine Pause zum Lüften der Socken ein, kämpfen mit dem hauseigenen WiFi und sind uns alle irgendwie nicht so ganz sicher, ob wir uns darüber freuen sollen, dass es nun nur noch etwa 10 Kilometer bis zu unserer Herberge sind. Meine letzten Kilometer auf dem diesjährigen Camino de la Costa. Ich hänge meinen Gedanken nach, möchte wieder einmal nicht, dass der Weg endet, kann mir nicht vorstellen, Pfeile und Muscheln hinter mir und vor allem, diese beiden Herzensmenschen alleine weiterziehen zu lassen. Ich schiebe den Schwermut zur Seite, möchte noch genießen, was es zu genießen gibt und merke, dass auch die beiden etwas stiller sind als sonst.

Bald zeigt sich uns die Küstenstadt Llanes, doch sind es ein paar Schritte, die gegangen werden müssen. Wir umrunden auf halber Höhe einen Berg und laufen dabei keine 50m an den Fairways eines Golfplatzes entlang. Das Jucken in den Fingern ist kaum auszuhalten, ich würde gerade zu gerne ein paar Bälle schlagen. Klarina und Gert machen sich schon seit Tagen einen Spaß daraus, wenn die Karte einen Golfplatz in der Nähe ankündigt – ich habe das Gefühl, ich werde gemobbt. 😉

Wie es typisch ist für den Camino, vor allem den Camino de la Costa, bedeutet ein Anstieg nicht, dass man nun ein Weilchen auf dem Kamm läuft, sondern dass es danach direkt wieder runter geht. Und wieder rauf. Und wieder runter. Das Motto dieses Weges ist nicht umsonst “What goes up, must come down.” Wir scheinen uns von der Stadt zu entfernen, als es endlich wirklich hinunter zu ihr geht. Unser Plan sieht vor, nicht in Llanes zu nächtigen, sondern weitere 3 km bis Poo de Llanes zu laufen. Diese Herberge hat uns zum einen Rainer vor über einer Woche, gestern aber auch Irene empfohlen. Für mich bedeutet das eben, am nächsten Tag die 3 km zurück nach Llanes zu gehen, um von hier meinen Bus nach Santander zu nehmen. Da es in Poo aber keine großartigen Möglichkeiten zum Essen und Ausgehen gibt und uns die spanische Dinner-Zeit auch noch immer nicht behagt, beschließen wir in Llanes eine große Pause einzulegen, zu essen und dann nur noch Kleinigkeiten für ein geselliges Abendessen am Strand einzukaufen, der nur 300m von der Albergue entfernt liegt.

Alle drei haben wir dringlichsten Bock auf Pizza, finden auf die Schnelle aber nichts und lassen uns in einer hübsch aussehenden Bar nieder. Als wir die Karte aufschlagen entdecken wir was? Pizza! Der Camino gibt Dir eben, was Du brauchst! Dazu zwei Karaffen Sangria und kaum sitzen wir, reißen die Wolken auf, der blaue Himmel zeigt sich und die Sonne knallt auf uns herab. Geht es besser? Die Pizza ist nicht supergut aber ok – ich habe in Spanien wahrlich schon schlechtere gegessen.

Klarina und Gert lechzen nach einem Eis, wir kaufen schnell ein und ziehen weiter in Richtung Poo de Llanes. Meine letzten drei Kilometer auf dem Küstenweg. Als ich den Kirchturm des Dorfes sehe, wird es mir schwer ums Herz, der Knoten im Hals lässt sich nicht mehr verdrängen und mir steigen Tränen in die Augen. Die Schritte werden schwer und ich schlappe nur noch hinter Klarina und Gert her.

Die Herberge ist ein Traum, die Besitzerin unfassbar freundlich. Wir erhalten ein Dreier-Zimmer, werfen unsere Sachen nur hinein und gehen direkt zum Strand weiter. Ich will ins Meer. Und die beiden sollen und wollen mitkommen. Die Bucht ist superschön, es ist gerade Ebbe und wir müssen weit laufen, um abtauchen zu können. Klarina hat etwas weniger Spaß als Gert und ich – ich nehme jede Welle mit und genieße das Wasser sehr.

Nach einer Dusche breiten wir uns in Sesseln und einer Hängematte im großen Garten aus, schnabulieren unser Abendessen, trinken Wein, hängen Gedanken nach und sind uns ganz wunderbar nahe. Schon eingerissene und noch einstürzende emotionale Wände sind spürbar und in dieser doch recht jungen Konstellation ist so viel freundschaftliche Liebe, dass sie fast greifbar ist.

Der Camino führt Menschen zusammen. Im Idealfall haben sie die gleiche Wellenlänge. Das hier toppt aber alles und ich bin unfassbar dankbar in jedem Moment, da ich die beiden ansehe und an sie denke.

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