Die Weihnachtszeit kommt jedes Jahr schneller als gedacht und es ist immer wieder das gleiche Spiel. Ende November denken wir noch, voll im Zeitplan zu sein: die ersten Geschenke sind gekauft, für die übrigen haben wir immerhin schon Ideen. Weihnachtskarten werden dieses Jahr auf jeden Fall verschickt, das Motiv soll ein ganz besonderes werden und mit Photoshop ist das ja sowieso alles ganz einfach. Die weihnachtliche Dekoration ist schnell aufgebaut, ein schöner Platz für den Baum wird sich problemlos finden lassen und die funkelnden Kugeln vom letzten Jahr waren ja sowieso perfekt. Und Plätzen wollen gebacken werden, Berge von Plätzchen!
Dabei sieht die Realität in den meisten Fällen ganz anders aus. Und zwar jedes Jahr: Der dritte Advent ist auf einmal da und bis auf ein paar kleine Beigaben ist noch kein einziges Geschenk besorgt, gebastelt oder bestellt. Die Weihnachtskarten sind noch nicht einmal in den Druck gegeben, geschweige denn überhaupt entworfen – und so werden es doch wieder Standard-Karten mit kitschigen Winterlandschaft-Malereien. Der Karton mit der Weihnachtsdeko hat zwar schon vor zwei Wochen den Weg aus dem Keller gefunden, wo er das übrige Jahr sein Dasein fristet, ausgeräumt und aufgebaut sind aber noch immer weder Pyramide, Nussknacker, noch bärtiger Rotmantel oder leuchtender Fensterbehang. Der Weihnachtsbaum wird wie schon im letzten Jahr auf den letzten Drücker besorgt – wer hat eigentlich vergessen, dass die schönen Christbaum-Kugeln letztes Jahr runter gefallen sind? Und wo sind eigentlich die Plätzchen?
Geschenke-Stress
OK, ganz so schlimm ist es bei mir nicht. Geschenke-Stress mache ich mir nicht, irgendwie finde ich für meine Liebsten immer die richtigen Dinge. Zumindest scheinen Sie zufrieden und glücklich, wenn sie das Geschenkpapier aufreißen – mehr will man ja nicht. Das wichtige Geschenk für den Lieblingsmenschen ist fast fertig, alles andere voll im Flow oder sogar schon fertig verpackt und mit Schleifchen verziert.
Schon (oder erst?) sechs Monate sind es, seit ich das letzte Mal auf dem Jakobsweg, auf dem Camino de la Costa war, sechs Monate seit ich den weltbesten Mann kennenlernen durfte. Sechs Monate seit meinem bis dahin vierten Mal, dass ich mich nach Santiago de Compostela ausgerichtet und auf spanischem Boden gepilgert bin. Ein halbes Jahr seit dem letzten und ganze fünf Jahre seit dem ersten Camino. Was die Faszination ausmacht, immer wieder auf den Weg zurück zu kehren, immer wieder zu suchen und zu finden, immer wieder den Mut aufzubringen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, habe ich schon mehrfach (hier, hier und hier) zu erklären versucht.
Aber was bleibt, was vom Camino nimmt der Pilger mit in sein Leben, in seinen Alltag? Lässt sich ein Wenig der Freiheit, der Ruhe, der Liebe, eben ein Funke dessen, was jeder so individuell auf seinem Camino erlebt und genießt, einfangen und ins Leben zu Hause mitnehmen? Kürzlich noch sprach ich mit einer Freundin, die im Oktober auf dem Camino Francés gepilgert ist und die ich vor, während und nach Ihrem Weg ein wenig mit Tipps und Gedanken, mit Unterstützung und Verständnis begleiten durfte. Bei ihr ist das Camino-Gefühl noch frischer als bei mir, da es ihr erster Camino war und dazu eben auch gerade erst, allerdings habe ich mich in ihren Berichten wieder erkannt. Sie erzählte mir noch in der vergangenen Woche, dass der Funke nicht mehr so sehr glüht wie auf dem Camino selbst, die kurze Flucht in Erinnerungen, Gedanken und Gefühle ungemein hilfreich sein kann. Allein der Rückblick und das Dahingleiten in geliebten Erinnerungen kann trösten und beruhigen, doch ist es am Ende viel mehr als nur der flüchtige und nicht zu greifende Gedankenfetzen.
Nach meinem ersten Camino haben mich enge Freunde und Familie mehrfach darauf hingewiesen, dass ich mich verändert hätte, ruhiger geworden sei, irgendwie geerdeter. Ich reagiere anders in extremen Situationen und habe Vertrauen. Vertrauen in mich, in meinen Weg. „Der Camino gibt Dir, was Du brauchst.“ ist für mich nicht nur eine Floskel unter Pilgern – es hat sich mehr als nur einmal für mich bewahrheitet.
Dieses Vertrauen hat mir der Camino geschenkt und ich bewahre es mir, komme was wolle.