Früh machen wir uns an diesem Tag auf, mir steht mit etwas über 34km meine bisher längste Strecke auf meinen Jakobswegen bevor und wir möchten die Kühle des Morgens nutzen, um einen Großteil der Strecke hinter uns gebracht zu haben, bevor die Sonne die Wolken aufreißt. Die Cafés in Negreira haben (fast schon unverständlicher Weise) früh am Tag geöffnet, sodass der nötige Koffein-Schub beste Voraussetzungen für einen guten Start in den Tag bringt. Wir verlassen die Stadt durch das schöne alte Stadttor, schlendern an alten und teils verlassenen Häusern vorbei und staunen heute wie schon die gesamten Tage über den krassen Gegensatz verfallener, fast schon mittelalterlich anmutender Häuser und moderner, mitten im Bauprozess unvollendeter Betongerippe.
Es zieht uns durch Streusiedlungen und Waldwege, wir laufen abermals entlang wenig befahrener Landstraßen und stapfen durch den kühlen Morgen. Da wir für unser Etappenziel Olveiroa abermals eine Reservierung haben, müssen wir beim Run auf die Betten nicht mitspielen, sondern ganz unser eigenes Tempo laufen, das ausgesprochen im Gleichklang ist.
Wieder stimmen Schrittlänge, Geschwindigkeit und Lust am Laufen mehr als nur überein, wir genießen den Weg und das Miteinander. Die Wälder, durch die uns der Weg heute führt, sind geheimnisvoll und wirken sehr mystisch – ich erinnere mich an meine Gedanken um herumgeisternde kleine Elfen, die ich im Wald hinter Zumaia fast schon erwartet habe. Dieser Weg, alleine und nur mit mir selbst ist gerade einmal drei Wochen her und doch scheint er wie eine Ewigkeit entfernt. Alles hier ist so anders: Landschaften, Menschen, Gefühle.
Durch meine Pause zwischen dem Camino de la Costa und diesem Camino de Fisterra habe ich den Übergang der Regionen nicht erlebt und plumpse gerade sprichwörtlich in dieses saftige und raue Galizien, das mich nicht nur einmal an mein geliebtes Schottland erinnert. Dazu sind es die regelmäßigen Graffitis und Gedanken früherer Pilger, die mich lächeln oder inne halten lassen. Manchmal sind sie lustig, meistens aber so passend, dass es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Alle paar Kilometer sind es die hohen und beeindruckenden Eukalyptusbäume, die uns fast schon dazu auffordern, einmal richtig durchzuatmen.
Unterwegs treffen wir wieder auf Nancy, verabreden mit ihr, dass wir für sie in der Herberge das Zimmer schon einmal bezahlen, sodass sie sich nicht hetzen muss. Ihre Reservierung steht zwar, doch soll sie vor 16 Uhr ankommen, um diese aufrecht zu erhalten. Da unser Schritttempo ein schnelleres ist, werden wir vor ihr ankommen – ein guter Plan. In Santa Marina halten wir für ein Getränk, möchten eigentlich auch etwas essen und damit Kraft für die letzten Kilometer des Tages sammeln, doch spricht uns das angebotene Tagesmenü kein bißchen an. Im Rucksack haben wir aber noch Proviant, sodass wir uns nach einer kurzen Rast fürs Weitergehen entscheiden und lieber an einem hübschen Ort ein Picknick machen. Mittlerweile geben die Wolken auch den Himmel frei, die Sonne strahlt auf uns herab und kaum ein Lüftchen weht.
Als wir den Ort verlassen, entdecken wir Nancy in einer anderen Bar, sie läuft nun mit einem Mutter-Tochter-Gespann aus den Staaten und ich freue mich sehr, dass die drei mit offensichtlich gleichem Lauftempo sich gefunden haben. Uns stehen noch knapp 12 km bevor und die Uhr tickt – selbst wir werden es nicht bis 16 Uhr bis Olveiroa schaffen, sodass Nancy der Hospitalera per Mail Bescheid gibt. Wir versprechen aber, unser bestes zu geben und auf jeden Fall sofort für sie zu bezahlen.
Bald schon finden wir ein kleines Wäldchen seitlich des Weges mit traumhaften Blick auf einen Stausee (oder sowas), wir vernichten Früchte, Wurst, Käse und Brot und sonnen uns dazu noch ein wenig. Wieder überholt uns das US-Gespann, doch bleibt das nicht lange so, da wir nun auch gestärkt aufbrechen.
Die letzten Kilometer des Tages ziehen sich leider sehr und aufgrund der mittlerweile unbarmherzigen Hitze und des abermaligen Laufens auf Asphalt macht dieser Weg keinen großen Spaß. Die letzten zwei Kilometer laufe ich stur weiter, lasse keine Gedanken zu außer jene an eine kalte Dusche und ein kühles Bier. Im besten Fall gleichzeitig. Die Herberge Casa Loncho in Olveiroa ist der Wahnsinn, das erkennen wir schon von Weitem und werden nicht enttäuscht. Restaurant & Bar, Albergue und Pension sind in unterschiedlichen Gebäuden zu finden, mittig davor ein großer Platz mit Einfahrt und vielen Stühlen und Tischen zum Relaxen. Wir schleppen uns in die Bar, da hier praktischer Weise der Check-In stattfindet, benötigen dringend zwei Bier, klären das Bett für Nancy und erhalten auch direkt die Schlüssel für unser Zimmer.
Das Bier ist noch nicht leer, als die drei US-Ladies eintreffen, nach kurzem Check unseres (unfassbar schönen) Zimmers entscheiden sich Erin und Jane, besagtes Mutter-Tochter-Gespann auch dazu, ein Zimmer hier zu nehmen und nicht noch 3km weiter zu laufen, sodass wir uns für 19 Uhr zum Dinner verabreden und bis dahin endlich ankommen, duschen und die Beine hochlegen können.
Das Abendessen nehmen wir nicht in unserer Herberge, sondern in einem benachbarten Restaurant zu uns, da Nancy unbedingt Schwertmuscheln essen möchte, und eben dieses Lokal damit wirbt. Witzigerweise ist dieses Dinner das komplette Gegenteil zu den sonstigen: Jane entscheidet sich für die Fischplatte und wird maßlos enttäuscht, Erin, Gert und ich wählen das Tagesmenü und sind angetan (begeistert wäre trotzdem das falsche Wort). Nancy ist mit den Muscheln ohnehin glücklich (*örks*), nur der Wein möchte uns allen nicht wirklich schmecken.
Trotzdem ist die Runde wirklich super, Gert ist mal wieder der Hahn im Korb, Erin und Jane finde ich ganz wundervoll: Sie sind beide so begeistert vom Weg, strahlen von innen und sind eine wundervolle Camino-Bekanntschaft. Und Nancy habe ich ohnehin in mein Herz geschlossen.
Zum Afzakkertje erlauben Gert und ich uns noch ein Bier im Abendlicht auf der Terrasse und nehmen uns vor, auf jeden Fall an unseren Blogs zu arbeiten. Tastatur, iPhone und iPad liegen bereit, doch will sich nicht wirklich der Schreib-Elan einstellen, sodass die Veröffentlichung in beiden Blogs verspätet stattfindet.
Schande über unsere Häupter! 😀