Im Gegensatz zu gestern kommen wir zum Glück früh los – einen weiterer Morgen umringt von Massen lauter und dauerquasselnder Menschen wollen wir nicht verbringen und versuchen daher vor ihnen auf dem Weg zu sein. Selbst die Räubertöchter sind genervt von Lautstärke und unbehaglicher Aufdringlichkeit – das will dann wohl schon was heißen.
Wir kommen wunderbar voran und genießen die morgendliche Frische, die durch die Eukalyptus-Bäume weht. Wir treffen auf bekannte Gesichter, erleben aber bis auf wenige Ausnahmen durchweg freundliche Begegnungen. Noch ein genervter Tag wie gestern wäre auch zu unschön. Da wir immer wieder auf überraschte oder fast schon geschockte Gesichter treffen zeigt, dass wir uns nicht mehr wirklich in unserer „Laufgruppe“ befinden. Vor allem jene, die erst kürzlich auf die 100km gestartet sind (sie verraten es uns) sind beeindruckt, wie Gert die Aufstiege mit dem Croozer meistert. Er gibt aber halt auch selten auf und stoppt erst, wenn er oben angekommen ist.
Die Kilometer-Zahlen auf den Camino-Markern werden merklich kleiner, wir nähern uns dem 10 km-Stein. Bald sind wir einstellig in der Distanz bis Santiago. Unglaublich, dass zwei Wochen schon vorbei sind, manche Erinnerungen fühlen sich viel weiter entfernt an.
Dort angekommen stellen wir uns für die obligatorischen Selfies an und ernten wieder mal verwunderte Blicke für unsere Croozer-Selfie-Stick-Konstruktion. So müssen wie die Handys aber nicht aus der Hand geben und ich bekomme Fotos wie ich sie möchte. Tut mir leid, aber mit Kids habe ich nicht viele Chancen auf ein gutes Bild – da kümmere ich mich lieber selbst.
Noch ein paar Mal müssen wir an einer sehr redebegeisterten Gruppe spanischer Damen vorbei – wir überholen, sie überholen, wir überholen, sie überholen, wir überholen – wir bleiben stehen und lassen sie ziehen, weil es einfach nur nervt und wir das Geschwindigkeitsspiel nicht mehr mitspielen können und sollen.
Wir erreichen endlich den Monte de Gozo, den Berg der Freude. Hier haben Pilger seit jeher das erste Mal die Turmspitzen der Kathedrale von Santiago de Compostela erblicken können – welch eine Freude, welch eine Erleichterung! Für uns aber hat der Berg noch eine ganz andere Bedeutung.
Hier haben wir uns 2015 wieder gesehen, als ich zurück gekommen bin auf den Camino. Hier haben wir uns in die Arme geschlossen. Hier haben wir uns das erste Mal geküsst. Emotionen pur. Wir sind zurück, diesmal als Familie. Und die Maxi-Räubertochter knipst stolz das Foto des wiederholten Kusses an dieser Stelle.
Da der heutige Lauftag kürzer war als sonst, sind wir recht früh am Ziel. Zum Glück ist der erwartete Spielplatz noch vorhanden, auf den sich die Mädels mit riesiger Begeisterung stürzen. Da sich aber eine Überraschung für die beiden am Nachmittag angekündigt hat, müssen wir die beiden vom Spielplatz entführen, unser Familienzimmer beziehen, duschen und frisch machen. Monte do Gozo hat nicht viel zu bieten, aber das ist genau, was wir gerade brauchen. Keine Entscheidungen, keine Vielfalt – ein Restaurant mit kalten Getränken, Spielplatz und Sitzplätzen. Perfekt.
Als die Kinder immer ungeduldiger werden, steht auf einmal Bernhard, unser Freund aus Österreich hinter ihnen. Er ist 5km aus Santiago zu uns spaziert, um seinen letzten Nachmittag und Abend mit uns zu verbringen und den Räubertöchtern eine Freude zu machen. Was für eine Überraschung, was für eine große Freude und was für ein Geschenk!
Wir genießen die gemeinsame Zeit, essen gemeinsam zu Abend und bestaunen noch kurz vor der Dämmerung mit vor Glück seligen und übermüdeten Kindern die berühmten Statuen des Monte do Gozo. Ein perfekter Abschluss!